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BVerfG Beschluss v. - 1 BvL 3/21

Gesetze: Art 1 Abs 1 GG, Art 20 Abs 1 GG, § 80 Abs 2 BVerfGG, § 2 Abs 1 S 4 Nr 1 AsylbLG vom , § 44 Abs 1 AsylVfG 1992, § 53 Abs 1 AsylVfG 1992, EGRL 115/2008, Art 17 EURL 33/2013, § 8 RBEG 2017, § 8 RBEG 2021, § 2 RBSFV 2019, § 2 RBSFV 2020, § 2 RBSFV 2022, § 28 SGB 12

Sonderbedarfsstufe für in Sammelunterkünften lebende Asylsuchende gem § 2 Abs 1 S 4 Nr 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) mit Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG partiell unvereinbar - Übergangsregelung gemäß Tenor ab

Leitsatz

1. Der objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums korrespondiert ein Leistungsanspruch, im Fall der Bedürftigkeit materielle Unterstützung zu erhalten. Der Anspruch erstreckt sich auf diejenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Diese Sozialleistungen müssen fortlaufend realitätsgerecht bemessen werden, damit gesichert ist, dass tatsächlich für eine menschenwürdige Existenz Sorge getragen wird. Sie können nicht pauschal nur auf der Grundlage der Vermutung abgesenkt werden, dass Bedarfe bereits anderweitig gedeckt sind und Leistungen daher nicht zur Existenzsicherung benötigt werden, ohne dass dies für die konkreten Verhältnisse hinreichend tragfähig belegt wäre.

2. Das Grundgesetz verwehrt es dem Gesetzgeber nicht, die Inanspruchnahme sozialer Leistungen zur Sicherung der menschenwürdigen Existenz an den Nachranggrundsatz zu binden. Einer Entscheidung des Gesetzgebers, zu verlangen, an der Überwindung der Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken oder die Bedürftigkeit gar nicht erst eintreten zu lassen, steht das Grundgesetz daher nicht entgegen. Der Gesetzgeber kann den Bezug existenzsichernder Leistungen grundsätzlich an die Erfüllung der Obliegenheit knüpfen, tatsächlich eröffnete, hierfür geeignete, erforderliche und zumutbare Möglichkeiten zu ergreifen, die Bedürftigkeit unmittelbar zu vermeiden oder zu vermindern. Eine pauschale Absenkung existenzsichernder Leistungen lässt sich auf eine solche Obliegenheit jedoch nur stützen, wenn diese tatsächlich erfüllt werden kann und dadurch Bedarfe in diesem Umfang nachweisbar gedeckt werden.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2022:ls20221019.1bvl000321

Fundstelle(n):
NJW 2023 S. 37 Nr. 1
JAAAJ-27252

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