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EuGH Urteil v. - C-537/22

Gesetze: RL 2006/112/EG

Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Versagung des Rechts auf Vorsteuerabzug – Verpflichtungen des Steuerpflichtigen – Sorgfaltspflicht – Beweislast – Grundsätze der steuerlichen Neutralität und der Rechtssicherheit – Vorrang des Unionsrechts – Widerspruch zwischen der Rechtsprechung eines nationalen Gerichts und dem Unionsrecht

Leitsatz

1. Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts ist dahin auszulegen, dass er das nationale Gericht, das von seiner Befugnis aus Art. 267 AEUV Gebrauch gemacht hat, verpflichtet, die rechtlichen Beurteilungen eines höheren nationalen Gerichts unberücksichtigt zu lassen, wenn es der Auffassung ist, dass diese Beurteilungen in Anbetracht der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Form eines Urteils oder eines mit Gründen versehenen Beschlusses im Sinne von Art. 99 seiner Verfahrensordnung vorgenommen hat, nicht mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Dieser Grundsatz steht jedoch einer nationalen Regelung nicht entgegen, die sich darauf beschränkt, die nationalen Untergerichte zu verpflichten, jede Abweichung von diesen Beurteilungen zu begründen.

2. Art. 167, Art. 168 Buchst. a und Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Verbindung mit den Grundsätzen der steuerlichen Neutralität und der Rechtssicherheit sind dahin auszulegen, dass sie einer Praxis nicht entgegenstehen, mit der die Steuerverwaltung einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug für den Erwerb von ihm gelieferten Gegenständen mit der Begründung versagt, dass Rechnungen für diese Erwerbe aufgrund von Umständen, die einen diesem Steuerpflichtigen zuzurechnenden Mangel an Sorgfalt belegen, nicht glaubhaft seien, wobei diese Umstände grundsätzlich anhand der von der Steuerverwaltung veröffentlichten Leitlinien für die Steuerpflichtigen beurteilt werden, sofern

  • diese Praxis und diese Leitlinien nicht die Verpflichtung der Steuerverwaltung in Frage stellen, die objektiven Umstände, die den Schluss zulassen, dass dieser Steuerpflichtige eine Mehrwertsteuerhinterziehung begangen hat oder wusste oder hätte wissen müssen, dass der betreffende Umsatz in eine solche Steuerhinterziehung einbezogen war, rechtlich hinreichend nachzuweisen,

  • diese Praxis und diese Leitlinien diesen Steuerpflichtigen nicht mit komplexen und umfassenden Überprüfungen in Bezug auf seinen Vertragspartner belasten,

  • die von der Steuerverwaltung angewandten Anforderungen denen dieser Leitlinien entsprechen und

  • die veröffentlichten Leitlinien für die Steuerpflichtigen eindeutig formuliert waren und ihre Anwendung für die Betroffenen vorhersehbar war.

3. Die Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass

  • sie, wenn die Steuerverwaltung beabsichtigt, einem Steuerpflichtigen das Recht auf Vorsteuerabzug mit der Begründung zu versagen, dass dieser an einer Mehrwertsteuerhinterziehung in Form eines Mehrwertsteuerkarussells beteiligt gewesen sei, dem entgegensteht, dass sich die Steuerverwaltung auf die Feststellung beschränkt, dass dieser Umsatz Teil von Karussellfakturierungen sei,

  • es der Steuerverwaltung obliegt, zum einen die Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung genau zu bestimmen und die betrügerischen Handlungen nachzuweisen und zum anderen zu belegen, dass der Steuerpflichtige aktiv an dieser Steuerhinterziehung beteiligt war oder dass er wusste oder hätte wissen müssen, dass der zur Begründung des Abzugsrechts geltend gemachte Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen in diese Hinterziehung einbezogen war, was jedoch nicht notwendigerweise bedeutet, dass alle an der Steuerhinterziehung beteiligten Akteure sowie deren jeweilige Handlungen anzugeben wären.

ECLI Nummer:
ECLI:EU:C:2024:6

Fundstelle(n):
NAAAJ-57757

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