Vorlage zur Vorabentscheidung – Steuerrecht – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem – Richtlinie 2006/112/EG – Art. 135 Abs. 1 Buchst. i – Steuerbefreiungen – Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz – Bedingungen und Beschränkungen – Grundsatz der steuerlichen Neutralität – Aufrechterhaltung der Wirkungen einer nationalen Regelung – Erstattungsanspruch – Ungerechtfertigte Bereicherung – Staatliche Beihilfen – Art. 107 Abs. 1 AEUV – Antrag auf Steuererstattung in Form von Schadensersatz
Leitsatz
1. Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in Verbindung mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität
ist dahin auszulegen, dass
er einer nationalen Regelung, die den Online-Kauf von Lotterielosen einerseits und die Teilnahme an sonstigen online angebotenen Glücksspielen mit Geldeinsatz andererseits unterschiedlich behandelt, indem sie Letztere von der für Erstere geltenden Mehrwertsteuerbefreiung ausschließt, nicht entgegensteht, sofern die objektiven Unterschiede zwischen diesen beiden Kategorien von Glücksspielen mit Geldeinsatz geeignet sind, die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, die eine oder die andere Spielkategorie zu wählen, erheblich zu beeinflussen.
2. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, wie er in Art. 4 Abs. 3 EUV verankert ist, und der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts gebieten es dem nationalen Gericht, nationale Bestimmungen, die für mit Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 in Verbindung mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität unvereinbar befunden wurden, unangewendet zu lassen, ohne dass hierbei das Vorliegen eines Urteils des nationalen Verfassungsgerichtshofs, mit dem die Wirkungen dieser nationalen Bestimmungen aufrechterhalten wurden, von Belang wäre.
3. Die Regeln des Unionsrechts über die Rückforderung rechtsgrundlos entrichteter Beträge sind dahin auszulegen, dass sie dem Steuerpflichtigen einen Anspruch auf Erstattung des Betrags der in einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen Art. 135 Abs. 1 Buchst. i der Richtlinie 2006/112 erhobenen Mehrwertsteuer verleihen, sofern diese Erstattung nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Steuerpflichtigen führt.
4. Art. 108 Abs. 3 AEUV ist dahin auszulegen, dass, wenn die Befreiung bestimmter Wirtschaftsteilnehmer von der Mehrwertsteuer eine rechtswidrige staatliche Beihilfe darstellt, ein Steuerpflichtiger, der nicht in den Genuss einer solchen Befreiung gekommen ist, nicht einen der entrichteten Mehrwertsteuer entsprechenden Betrag in Form von Schadensersatz erhalten kann.