Tarifvertragsparteien sind bei der Setzung von Tarifnormen grds an allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) gebunden - allerdings Begrenzung der richterlichen Kontrolldichte durch Gestaltungsspielraum der Tarifpartner - Tarifautonomie zudem bei der Bestimmung der Rechtsfolgen gleichheitswidriger Tarifnormen zu berücksichtigen - hier: erfolgreiche Verfassungsbeschwerden bzgl Zuschlagsvergütungen für Nachtschichtarbeit - Sondervotum zur Begründung
Leitsatz
1. Die Tarifautonomie umfasst auch die rechtsverbindliche Wirkung der Tarifverträge in den tarifgebundenen
Individualarbeitsverhältnissen. Diese verbindliche Wirkung erweitert und gefährdet die individuelle Freiheit der
Tarifgebundenen. Das Koalitionsgrundrecht schützt die Mitglieder der Tarifvertragsparteien vor den mit der
verbindlichen Wirkung verbundenen Freiheitsgefährdungen, indem die Tarifvertragsparteien jedenfalls den allgemeinen
Gleichheitssatz bei der Tarifnormsetzung grundsätzlich zu achten haben.
2. a) Die Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz erfordert zugleich, den Zweck der Tarifautonomie, eine
grundsätzlich autonome Aushandlung der Tarifregelungen zu ermöglichen, und den damit einhergehenden Einschätzungs-,
Wertungs- und Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen; dies begrenzt die richterliche
Kontrolldichte.
b) Wie weit die Gestaltungsspielräume der Tarifvertragsparteien im Einzelnen reichen, ist insbesondere abhängig von
Regelungsgegenstand, Komplexität der Materie, den betroffenen Grundrechten sowie Art und Gewicht der Auswirkungen
für die Tarifgebundenen.
c) Die Spielräume der Tarifvertragsparteien sind im Ausgangspunkt umso weiter, je näher die geregelten Sachverhalte
am Kernbereich von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen liegen.
d) Die Spielräume sind insbesondere dann enger, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Minderheiten betroffen sind
und diese oder spezifische Gruppeninteressen systematisch vernachlässigt wurden.
3. Bei Tarifnormen, deren Gehalte im Kernbereich der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen liegen und bei denen
spezifische Schutzbedarfe nicht erkennbar sind, ist die gerichtliche Kontrolle am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG
angesichts der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Spielräume der Tarifvertragsparteien auf eine Willkürkontrolle
beschränkt.
4. Bei der Bestimmung der Rechtsfolgen gleichheitswidriger Tarifnormen müssen die Gerichte die Koalitionsfreiheit der
Tarifvertragsparteien und insbesondere deren Spielräume in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beachten. Dieser
grundrechtliche Spielraum setzt sich bei der Tarifnormsetzung im Falle verschiedener Möglichkeiten zur Beseitigung
der Ungleichbehandlung als grundsätzlich primäre Korrekturkompetenz fort. Die erforderliche partielle Neuordnung der
Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen zur Beseitigung einer Unvereinbarkeit von Tarifnormen mit der Verfassung ist
auch im Rahmen der Rechtsfolgenbestimmung im Individualprozess im Ausgangspunkt den Tarifpartnern als ursprünglichen
Normgebern zu überlassen.