Zum Verhältnis zwischen unional teildeterminiertem Antidiskriminierungsrecht und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht (Art 4 Abs 1, Abs 2 GG iVm Art 140 GG, 137 Abs 3 S 1 WRV) im Bereich des kirchlichen Arbeitsrechts - Konkretisierung der bisherigen Maßstäbe des religiösen Selbstbestimmungsrechts mit Auswirkung auf Auslegung der § 11 iVm §§ 1, 2, 7 und 9 AGG - hier: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts durch fachgerichtliche Zubilligung einer Entschädigung wegen Ungleichbehandlung bei einer Stellenbesetzung
Leitsatz
1. Das Bundesverfassungsgericht prüft innerstaatliches Recht und dessen Anwendung grundsätzlich auch dann am Maßstab
der Grundrechte des Grundgesetzes, wenn es im Anwendungsbereich des Unionsrechts liegt, durch dieses aber nicht
vollständig determiniert ist. Die hier maßgeblichen Normen der Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG des Rates vom
zur Reichweite des religiösen Selbstbestimmungsrechts im Bereich des religiösen Arbeitsrechts
belassen den Mitgliedstaaten bei ihrer Durchführung Gestaltungsspielräume. Innerhalb des vom unionalen Fachrecht in
der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union vorgegebenen Rahmens indizieren diese
Gestaltungsspielräume Grundrechtspluralität. In der Folge kann es angesichts der unterschiedlichen
religionsverfassungsrechtlichen Verhältnisse in den Mitgliedstaaten zu voneinander abweichenden Wertungen bei der
Abwägung der betroffenen Rechtsgüter im Bereich des religiösen Arbeitsrechts kommen.
2. Das religiöse Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3
Satz 1 WRV umfasst alle Maßnahmen, die der Sicherstellung der religiösen Dimension des Wirkens und der Wahrung der
unmittelbaren Beziehung der Tätigkeit zum Grundauftrag der Religionsgemeinschaft dienen. Darunter fällt auch die
rechtliche Vorsorge für die Wahrnehmung kirchlicher Dienste durch die Auswahl der Arbeitnehmer und den Abschluss
entsprechender Arbeitsverträge.
3. a) Die bindenden Anforderungen von Art. 4 Abs. 2 Gleichbehandlungsrichtlinie in der Auslegung durch den
Gerichtshof der Europäischen Union lassen sich über eine unionsrechtskonforme Auslegung der einschlägigen nationalen
Bestimmungen umsetzen. Dies führt zu einer Konkretisierung der bisherigen verfassungsgerichtlichen Maßstäbe für die
Zweistufenprüfung auf der Ebene der Beschränkung des religiösen Selbstbestimmungsrechts.
b) Die erste Stufe der Schrankenziehung erfährt insoweit eine Schärfung, als ausgehend vom Selbstverständnis der
Religionsgemeinschaft eine wirksame gerichtliche Kontrolle dahingehend erfolgt, inwieweit sich aus der Tätigkeit
oder den Umständen ihrer Ausübung objektiv ein direkter Zusammenhang zwischen der aufgestellten beruflichen
Anforderung - hier der Kirchenmitgliedschaft - und der fraglichen Tätigkeit ergibt. Der Religionsgemeinschaft
obliegt es, diesen Zusammenhang für die konkret betroffene Tätigkeit im Hinblick auf ihr religiöses
Selbstverständnis plausibel darzulegen.
c) Die auf der zweiten Stufe erfolgende Gesamtabwägung der betroffenen rechtlichen Belange erfährt eine Konturierung
dahingehend, dass die in Rede stehende berufliche Anforderung im Hinblick auf die konkrete Tätigkeit für die Wahrung
des religiösen Selbstverständnisses verhältnismäßig sein muss. Dies lässt es - im Einklang mit der Offenheit des
Unionsrechts für die unterschiedlichen grundrechtlichen Wertungen der Mitgliedstaaten - weiterhin zu, dem religiösen
Selbstverständnis aufgrund seiner Nähe zum vorbehaltlos gewährten Recht auf korporative Religionsfreiheit (Art. 4
Abs. 1 und 2 GG) ein besonderes Gewicht beizumessen.
d) Je größer die Bedeutung der betroffenen Position für die religiöse Identität der Religionsgemeinschaft nach innen
oder außen, desto mehr Gewicht besitzt dieser Umstand und ein daraus abgeleitetes Erfordernis der
Kirchenmitgliedschaft. Je weniger Relevanz die jeweilige Position für die Verwirklichung des religiösen Ethos hat,
desto eher wird dem Diskriminierungsschutz der Vorzug zu geben sein. Dessen hoher verfassungsrechtlicher Bedeutung
ist bei der Abwägung durch die Gerichte Rechnung zu tragen.
4. Im Hinblick auf die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften im Bereich des
Arbeitsrechts bestehen keine unüberwindbaren Widersprüche zwischen dem nationalen Verfassungsrecht und dem
Unionsrecht.
Im Einklang mit den einschlägigen Gewährleistungen der Grundrechtecharta und der Europäischen
Menschenrechtskonvention unterscheiden Verfassungsrecht wie Unionsrecht grundsätzlich zwischen einer unzulässigen
theologischen Bewertung des religiösen Ethos durch die staatlichen Gerichte einerseits und der rechtsstaatlichen
Beschränkung der Durchsetzung des religiösen Selbstbestimmungsrechts im Bereich des staatlichen
(Gleichbehandlungs-)Rechts andererseits.