Leitsatz
1. Wenn eine Bestimmung des
Gemeinschaftsrechts für den Fall ihrer Verletzung keine eigene
Sanktionsbestimmung enthält oder insoweit auf die nationalen Rechts- und
Verwaltungsvorschriften verweist, sind die Mitgliedstaaten nach Artikel 10 EG
verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die volle
Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.
Dabei müssen die
Mitgliedstaaten, denen allerdings die Wahl der Sanktion verbleibt, namentlich
darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach
ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie
nach Art und Schwere gleiche Verstöße gegen nationales Recht, wobei
die Sanktion jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und
abschreckend sein muss.
( vgl. Randnr. 62 )
2. Artikel 2 der Elften Richtlinie
89/666 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem
Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die
dem Recht eines anderen Staates unterliegen, enthält eine Auflistung der
Angaben, die in dem Mitgliedstaat, in dem die Zweigniederlassung ansässig
ist, offen zu legen sind, sowie eine Aufzählung fakultativer
Offenlegungsmaßnahmen. Er steht einer Regelung eines Mitgliedstaats
entgegen, die Zweigniederlassungen einer nach dem Recht eines anderen
Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft Offenlegungspflichten auferlegt,
die nicht in dieser Richtlinie vorgesehen sind, wie z. B. die Angabe im
Handelsregister, dass es sich um eine formal ausländische Gesellschaft
handelt, die Angabe des Datums der ersten Eintragung im ausländischen
Handelsregister und der Informationen über den Alleingesellschafter im
Handelsregister des Aufnahmestaats, die zwingende Hinterlegung einer
Erklärung von Wirtschaftsprüfern, dass die Gesellschaft die
Voraussetzungen bezüglich des gezeichneten und eingezahlten
Mindestkapitals und des Eigenkapitals erfuellt, oder die Angabe der Eigenschaft
formal ausländische Gesellschaft" auf allen von dieser herrührenden
Schriftstücken.
Unbeschadet der für
Zweigniederlassungen bestehenden sozialrechtlichen, steuerrechtlichen und
statistischen Informationspflichten ist nämlich die durch die Elfte
Richtlinie herbeigeführte Harmonisierung der Offenlegung solcher
Niederlassungen abschließend.
( vgl. Randnrn. 65, 69-70, 72, 143,
Tenor 1 )
3. Die Artikel 43 EG und 48 EG stehen
einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die die Ausübung der
Freiheit zur Errichtung einer Zweitniederlassung in diesem Staat durch eine
nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft von
bestimmten Voraussetzungen abhängig macht, die im innerstaatlichen Recht
für die Gründung von Gesellschaften bezüglich des
Mindestkapitals und der Haftung der Geschäftsführer vorgesehen sind.
Die Gründe, aus denen die Gesellschaft in dem anderen Mitgliedstaat
errichtet wurde, sowie der Umstand, dass sie ihre Tätigkeit
ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Mitgliedstaat der
Niederlassung ausübt, nehmen ihr nicht das Recht, sich auf die durch den
Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit zu berufen, es sei denn, im
konkreten Fall wird ein Missbrauch nachgewiesen.
Ein Mitgliedstaat ist berechtigt,
Maßnahmen zu treffen, die verhindern sollen, dass sich einige seiner
Staatsangehörigen unter Ausnutzung der durch den Vertrag geschaffenen
Möglichkeiten in missbräuchlicher Weise der Anwendung des nationalen
Rechts entziehen; die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf
Gemeinschaftsrecht ist nicht gestattet.
Es ist jedoch gerade Ziel der
Vertragsvorschriften über die Niederlassungsfreiheit, es den nach dem
Recht eines Mitgliedstaats errichteten Gesellschaften, die ihren
satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre
Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, zu erlauben, mittels einer
Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft in anderen Mitgliedstaaten
tätig zu werden.
Wenn also ein Staatsangehöriger
eines Mitgliedstaats, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in
dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm
die größte Freiheit lassen, und anschließend in anderen
Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen gründet, so übt er damit die
durch den Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit im Binnenmarkt
aus.
Darüber hinaus belegt der
Umstand, dass eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz
hat, keine Tätigkeit entfaltet und ihre Tätigkeit
ausschließlich oder hauptsächlich im Mitgliedstaat ihrer
Zweigniederlassung ausübt, noch kein missbräuchliches und
betrügerisches Verhalten, das es dem letzteren Mitgliedstaat erlauben
würde, auf die betreffende Gesellschaft die Gemeinschaftsvorschriften
über das Niederlassungsrecht nicht anzuwenden.
( vgl. Randnrn. 105, 136-139, 143,
Tenor 2 )