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EuGH Urteil v. - C-167/01

Gesetze: EG Art. 10 ; EG Art. 43 ; EG Art. 48; Richtlinie 89/666 Art. 2

Unzulässige zusätzliche Offenlegungspflichten und andere Voraussetzungen für nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründete Gesellschaften vor Einrichtung einer Zweigniederlassung im Inland

Leitsatz

1. Wenn eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts für den Fall ihrer Verletzung keine eigene Sanktionsbestimmung enthält oder insoweit auf die nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften verweist, sind die Mitgliedstaaten nach Artikel 10 EG verpflichtet, alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.

Dabei müssen die Mitgliedstaaten, denen allerdings die Wahl der Sanktion verbleibt, namentlich darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleiche Verstöße gegen nationales Recht, wobei die Sanktion jedenfalls wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein muss.

( vgl. Randnr. 62 )

2. Artikel 2 der Elften Richtlinie 89/666 über die Offenlegung von Zweigniederlassungen, die in einem Mitgliedstaat von Gesellschaften bestimmter Rechtsformen errichtet wurden, die dem Recht eines anderen Staates unterliegen, enthält eine Auflistung der Angaben, die in dem Mitgliedstaat, in dem die Zweigniederlassung ansässig ist, offen zu legen sind, sowie eine Aufzählung fakultativer Offenlegungsmaßnahmen. Er steht einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die Zweigniederlassungen einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft Offenlegungspflichten auferlegt, die nicht in dieser Richtlinie vorgesehen sind, wie z. B. die Angabe im Handelsregister, dass es sich um eine formal ausländische Gesellschaft handelt, die Angabe des Datums der ersten Eintragung im ausländischen Handelsregister und der Informationen über den Alleingesellschafter im Handelsregister des Aufnahmestaats, die zwingende Hinterlegung einer Erklärung von Wirtschaftsprüfern, dass die Gesellschaft die Voraussetzungen bezüglich des gezeichneten und eingezahlten Mindestkapitals und des Eigenkapitals erfuellt, oder die Angabe der Eigenschaft formal ausländische Gesellschaft" auf allen von dieser herrührenden Schriftstücken.

Unbeschadet der für Zweigniederlassungen bestehenden sozialrechtlichen, steuerrechtlichen und statistischen Informationspflichten ist nämlich die durch die Elfte Richtlinie herbeigeführte Harmonisierung der Offenlegung solcher Niederlassungen abschließend.

( vgl. Randnrn. 65, 69-70, 72, 143, Tenor 1 )

3. Die Artikel 43 EG und 48 EG stehen einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die die Ausübung der Freiheit zur Errichtung einer Zweitniederlassung in diesem Staat durch eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft von bestimmten Voraussetzungen abhängig macht, die im innerstaatlichen Recht für die Gründung von Gesellschaften bezüglich des Mindestkapitals und der Haftung der Geschäftsführer vorgesehen sind. Die Gründe, aus denen die Gesellschaft in dem anderen Mitgliedstaat errichtet wurde, sowie der Umstand, dass sie ihre Tätigkeit ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Mitgliedstaat der Niederlassung ausübt, nehmen ihr nicht das Recht, sich auf die durch den Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit zu berufen, es sei denn, im konkreten Fall wird ein Missbrauch nachgewiesen.

Ein Mitgliedstaat ist berechtigt, Maßnahmen zu treffen, die verhindern sollen, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Ausnutzung der durch den Vertrag geschaffenen Möglichkeiten in missbräuchlicher Weise der Anwendung des nationalen Rechts entziehen; die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht ist nicht gestattet.

Es ist jedoch gerade Ziel der Vertragsvorschriften über die Niederlassungsfreiheit, es den nach dem Recht eines Mitgliedstaats errichteten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, zu erlauben, mittels einer Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft in anderen Mitgliedstaaten tätig zu werden.

Wenn also ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen, und anschließend in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen gründet, so übt er damit die durch den Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit im Binnenmarkt aus.

Darüber hinaus belegt der Umstand, dass eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, keine Tätigkeit entfaltet und ihre Tätigkeit ausschließlich oder hauptsächlich im Mitgliedstaat ihrer Zweigniederlassung ausübt, noch kein missbräuchliches und betrügerisches Verhalten, das es dem letzteren Mitgliedstaat erlauben würde, auf die betreffende Gesellschaft die Gemeinschaftsvorschriften über das Niederlassungsrecht nicht anzuwenden.

( vgl. Randnrn. 105, 136-139, 143, Tenor 2 )

Fundstelle(n):
JAAAB-72607

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