Leitsatz
1. Artikel 293 EG stellt keinen
Rechtsetzungsvorbehalt zugunsten der Mitgliedstaaten dar. Diese Vorschrift
fordert die Mitgliedstaaten zwar auf, Verhandlungen einzuleiten, u. a. um die
Lösung der Probleme zu erleichtern, die sich aus der Unterschiedlichkeit
der Rechtsvorschriften über die gegenseitige Anerkennung von
Gesellschaften und über die Aufrechterhaltung ihrer
Rechtspersönlichkeit bei grenzüberschreitender Sitzverlegung ergeben,
dies aber nur, soweit erforderlich", also für den Fall, dass die
Bestimmungen des EG-Vertrags nicht die Erreichung der Vertragsziele
ermöglichen. Insbesondere können zwar die Übereinkünfte, zu
deren Abschluss Artikel 293 EG anregt, genau wie die in Artikel 44 EG
vorgesehenen Harmonisierungsrichtlinien die Verwirklichung der
Niederlassungsfreiheit erleichtern, das Gebrauchmachen von dieser Freiheit kann
aber nicht vom Abschluss solcher Übereinkünfte
abhängen.
( vgl. Randnrn. 54-55 )
2. Es stellt eine mit den Artikeln 43
EG und 48 EG grundsätzlich nicht vereinbare Beschränkung der
Niederlassungsfreiheit dar, wenn ein Mitgliedstaat sich u. a. deshalb weigert,
die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft, die nach dem Recht eines anderen
Mitgliedstaats gegründet worden ist und dort ihren
satzungsmäßigen Sitz hat, anzuerkennen, weil die Gesellschaft im
Anschluss an den Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile durch in seinem
Hoheitsgebiet wohnende eigene Staatsangehörige, ihren tatsächlichen
Verwaltungssitz in sein Hoheitsgebiet verlegt haben soll, mit der Folge, dass
die Gesellschaft im Aufnahmemitgliedstaat nicht zu dem Zweck parteifähig
ist, ihre Ansprüche aus einem Vertrag geltend zu machen, es sei denn, dass
sie sich nach dem Recht dieses Aufnahmestaats neu gründet.
In dieser Hinsicht lässt es sich
zwar nicht ausschließen, dass zwingende Gründe des Gemeinwohls, wie
der Schutz der Interessen der Gläubiger, der Minderheitsgesellschafter,
der Arbeitnehmer oder auch des Fiskus, unter bestimmten Umständen und
unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der
Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können, solche Ziele können es
jedoch nicht rechtfertigen, dass einer Gesellschaft, die in einem anderen
Mitgliedstaat ordnungsgemäß gegründet worden ist und dort ihren
satzungsmäßigen Sitz hat, die Rechtsfähigkeit und damit die
Parteifähigkeit abgesprochen wird. Eine solche Maßnahme kommt
nämlich der Negierung der den Gesellschaften in den Artikeln 43 EG und 48
EG zuerkannten Niederlassungsfreiheit gleich, so dass sie gegen diese
Vorschriften verstößt.
( vgl. Randnrn. 82, 92-94, Tenor 1
)
3. In dem Fall, dass eine
Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats gegründet worden ist,
in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, in einem
anderen Mitgliedstaat von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch macht, ist
dieser andere Mitgliedstaat nach den Artikeln 43 EG und 48 EG verpflichtet, die
Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese
Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungstaats besitzt.
( vgl. Randnr. 95, Tenor 2
)