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BVerfG Beschluss v. - 1 BvL 10/02 BStBl 2007 II S. 192

Gesetze: ErbStG § 19 Abs. 1ErbStG § 10 Abs. 1 Satz 1ErbStG § 10 Abs. 1 Satz 2ErbStG § 10 Abs. 6 Satz 4ErbStg § 12ErbStG § 13aErbStG § 19a Abs. 1BewG § 9BewG § 11BewG § 109 Abs. 1BewG § 138BewG § 140BewG § 141BewG § 142BewG § 143BewG § 145BewG § 146 Abs. 2 Satz 1BewG § 147BewG § 148BewG § 149GG Art. 3

Verfassungswidrigkeit des Erbschaftsteuerrechts

Leitsatz

  1. Die durch § 19 Abs. 1 ErbStG angeordnete Erhebung der Erbschaftsteuer mit einheitlichen Steuersätzen auf den Wert des Erwerbs ist mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil sie an Steuerwerte anknüpft, deren Ermittlung bei wesentlichen Gruppen von Vermögensgegenständen (Betriebsvermögen, Grundvermögen, Anteilen an Kapitalgesellschaften und land- und forstwirtschaftlichen Betrieben) den Anforderungen des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG nicht genügt.

  2.  
    1. Die Bewertung des anfallenden Vermögens bei der Ermittlung der erbschaftsteuerlichen Bemessungsgrundlage muss wegen der dem geltenden Erbschaftsteuerrecht zugrunde liegenden Belastungsentscheidung des Gesetzgebers, den durch Erbfall oder Schenkung anfallenden Vermögenszuwachs zu besteuern, einheitlich am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Bewertungsziel ausgerichtet sein. Die Bewertungsmethoden müssen gewährleisten, dass alle Vermögensgegenstände in einem Annäherungswert an den gemeinen Wert erfasst werden.

    2. Bei den weiteren, sich an die Bewertung anschließenden Schritten zur Bestimmung der Steuerbelastung darf der Gesetzgeber auf den so ermittelten Wert der Bereicherung aufbauen und Lenkungszwecke, etwa in Form zielgenauer und normenklarer steuerlicher Verschonungsregelungen, ausgestalten.

  3. Das BVerfG führt umfangreich aus, warum die Bewertungsvorschriften für die einzelnen Vermögensarten (Betriebsvermögen, Grundvermögen – unbebaute, bebaute, im Zustand der Bebauung befindliche Grundstücke, Erbbaurecht - , Anteile an Kapitalgesellschaften, land- und forstwirtschaftliches Vermögen) gleichheitswidrig ausgestaltet sind.

  4. In der Wahl der Wertermittlungsmethode, derer sich der Gesetzgeber zur Bestimmung des gemeinen Werts von Vermögensgegenständen bedient, ist er grundsätzlich frei. Er kann die Wertermittlungsregelungen unter Berücksichtigung der Erfordernisse eines praktikablen Steuererhebungsverfahrens sowie der gesetzessystematisch notwendigen Typisierungen und Pauschalierungen ausgestalten. Die Methodik der Bewertung im Erbschaftsteuerrecht wird allerdings dann den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 GG nicht mehr gerecht, wenn sie dazu führt, dass nicht alle Vermögensgegenstände in einem Annäherungswert an den gemeinen Wert erfasst werden.

  5. Zur Verfolgung außerfiskalischer Förderungs- und Lenkungsziele im Erbschaftsteuerrecht ist die Bewertungsebene aus verfassungsrechtlichen Gründen bereits vom Ansatz her ungeeignet. Ein regulierendes Eingreifen des Gesetzgebers mittels Differenzierungen beim Bewertungsmaßstab für bestimmte Vermögensgegenstände scheidet als gleichheitswidrig aus. Denn es ist nicht mit dem Erfordernis der gleichheitsgerechten Ausgestaltung des Lenkungszwecks vereinbar. Der Versuch einer Lenkung auf der Bewertungsebene führt zu uneinheitlich vom gemeinen Wert abweichenden Bewertungsergebnissen und damit dazu, dass schon beim ersten Schritt der Ermittlung der Steuerbelastung darauf verzichtet wird, die Begünstigungswirkung den Begünstigungsadressaten möglichst gleichmäßig zugute kommen zu lassen. Dadurch werden zufällig und willkürlich eintretende Entlastungen bereits strukturell angelegt.

  6. Aufbauend auf Werten, die nach diesen Vorgaben seiner Belastungsentscheidung entsprechend ermittelt worden sind, ist es dem Gesetzgeber auch im Erbschaftsteuerrecht unbenommen, in einem zweiten Schritt bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage steuerliche Lenkungsziele zu verwirklichen. Mittels Belastungs- und Verschonungsregelungen, die den Anforderungen an Lenkungsnormen genügen, kann er bei Vorliegen ausreichender Rechtfertigungsgründe die Bemessungsgrundlage zielgenau modifizieren. Derartige Bestimmungen finden sich im geltenden Erbschaftsteuerrecht etwa in § 13 a ErbStG. Wird der Lenkungszweck im Einzelfall verfehlt, kann dem über Nachversteuerungsvorbehalte wie beispielsweise in § 13 a Abs. 5 ErbStG Rechnung getragen und die durch die steuerliche Lenkung nicht mehr gerechtfertigte Ungleichbehandlung rückgängig gemacht werden. Die Ausgestaltung solcher Korrektive würde hingegen bei einer steuerlichen Lenkung schon auf der Bewertungsebene zu nur schwer handhabbaren Problemen führen.

  7. Der Gesetzgeber kann im Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen auch Differenzierungen beim Steuersatz vorsehen. Von dieser Möglichkeit hat er im geltenden Erbschaftsteuerrecht nicht nur bei der Staffelung des § 19 Abs. 1 ErbStG Gebrauch gemacht, sondern er hat sich mit der Tarifbegrenzung des § 19 a ErbStG des Steuersatzes auch als Mittel steuerlicher Lenkung bedient. Bei Vorliegen ausreichender Rechtfertigungsgründe bestehen hiergegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

(Leitsätze 3 bis 7 nicht amtlich)

Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 192
BFH/NV-Beilage 2007 S. 237 Nr. 2
BStBl II 2007 S. 192 Nr. 5
DB 2007 S. 320 Nr. 6
DStRE 2007 S. 256 Nr. 4
DStZ 2007 S. 117 Nr. 5
EStB 2007 S. 173 Nr. 5
FR 2007 S. 338 Nr. 7
GmbH-StB 2007 S. 67 Nr. 3
GmbHR 2007 S. 320 Nr. 6
HFR 2007 S. 278 Nr. 3
HFR 2007 S. 386 Nr. 4
INF 2007 S. 128 Nr. 4
KÖSDI 2007 S. 15458 Nr. 3
KÖSDI 2007 S. 15460 Nr. 3
KÖSDI 2007 S. 15535 Nr. 5
KÖSDI 2007 S. 15547 Nr. 5
NJW 2007 S. 573 Nr. 9
NWB-EN Nr. 158/2007 (Erbschaftsteuerrecht in seiner derzeitigen Ausgestaltung verfassungswidrig)
NWB-Eilnachricht Nr. 14/2007 S. 1111
StBW 2007 S. 5 Nr. 4
StuB-Bilanzreport Nr. 3/2006 S. 120
StuB-Bilanzreport Nr. 3/2007 S. 119
StuB-Bilanzreport Nr. 7/2008 S. 276
WM 2007 S. 316 Nr. 7
WPg 2007 S. 354 Nr. 8
GAAAC-36599

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