Rückwirkende Verlängerung der Veräußerungsfrist bei Spekulationsgeschäften auf zehn Jahre mit den Grundsätzen des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes unvereinbar - § 23 Abs 1 S 1 Nr 1 iVm § 52 Abs 39 S 1 EStG in der Fassung vom nichtig, soweit in einem Veräußerungsgewinn Wertsteigerungen steuerlich erfasst werden, die bis zur Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 am entstanden sind und nach der zuvor geltenden Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Verkündung steuerfrei realisiert worden sind oder steuerfrei hätten realisiert werden können – zur Zulässigkeit tatbestandlicher Rückanknüpfungen im Steuerrecht - Verlängerung der Veräußerungsfrist auf zehn Jahre als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden
Leitsatz
1. Gesetzliche Regelungen, die für künftige belastende Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpfen (sog. unechte
Rückwirkung oder tatbestandliche Rückanknüpfung) sind nicht grundsätzlich unzulässig. Die unechte Rückwirkung ist mit den
grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes jedoch nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des
Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens
und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt.
2. Die Verlängerung der früher sogenannten Spekulationsfrist bei der Veräußerung von Grundstücken durch § 23 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 in Verbindung mit § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/ 2002 war mit belastenden
Folgen einer unechten Rückwirkung verbunden, die zum Teil den Grundsätzen des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes widersprechen.
Fundstelle(n): BFH/NV 2010 S. 1959 Nr. 10 BStBl II 2011 S. 76 Nr. 1 DStR 2010 S. 1727 Nr. 34 DStRE 2010 S. 1086 Nr. 17 DStZ 2010 S. 664 Nr. 18 FR 2011 S. 40 Nr. 1 HFR 2010 S. 1098 Nr. 10 KÖSDI 2010 S. 17098 Nr. 9 NWB-Eilnachricht Nr. 35/2010 S. 2762 StuB-Bilanzreport Nr. 17/2010 S. 678 LAAAD-48925