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BVerfG Beschluss v. - 2 BvR 2661/06

Gesetze: Art 101 Abs 1 S 2 GG, Art 12 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, Art 23 Abs 1 S 2 GG, Art 18 AEUV, Art 19 Abs 1 AEUV, Art 19 Abs 1 AEUV, Art 267 Abs 3 AEUV, Art 288 Abs 2 AEUV, Art 288 Abs 3 AEUV, Art 340 Abs 2 AEUV, Art 340 Abs 3 AEUV, Art 12 EG, Art 13 Abs 1 EG, Art 234 Abs 3 EG, Art 249 Abs 2 EG, Art 249 Abs 3 EG, Anh 1 § 8 Abs 3 EGRL 70/1999, Art 18 Abs 1 EGRL 78/2000, Art 18 Abs 2 EGRL 78/2000, Art 6 Abs 1 EGRL 78/2000, Art 19 Abs 1 UAbs 1 S 2 EU, Art 5 Abs 1 S 1 EU, Art 5 Abs 2 S 1 EU, Art 6 Abs 3 EU, Art 21 Abs 1 EUGrdRCh, § 14 Abs 3 S 4 TzBfG

Umfang und Grenzen einer Ultra-vires-Kontrolle des Handelns von Organen der Europäischen Union durch das BVerfG (hier: Mangold-Entscheidung des EuGH <C-144/04, > nicht ultra vires) - Zur Möglichkeit sekundären Vertrauensschutzes durch Gewährung von Schadensersatz bei rückwirkender Nichtanwendbarkeit eines Gesetzes aufgrund einer Entscheidung des EuGH - Anwendung des Willkürmaßstabes aus BVerfGE 82, 159 <194> auch hinsichtlich einer Verletzung von Art 267 Abs 3 AEUV - abweichende Meinung: Kompetenzüberschreitung des EuGH in Mangold-Entscheidung jedenfalls mit Annahme einer Vorwirkung der EGRL 78/2000, Mehrheitsansicht weicht von Lissabon-Entscheidung (BVerfGE 123, 267 <353 ff>) ab

Leitsatz

1. a) Eine Ultra-vires-Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht kommt nur in Betracht, wenn ein Kompetenzverstoß der europäischen Organe hinreichend qualifiziert ist. Das setzt voraus, dass das kompetenzwidrige Handeln der Unionsgewalt offensichtlich ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zulasten der Mitgliedstaaten führt.

b) Vor der Annahme eines Ultra-vires-Akts ist dem Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV die Gelegenheit zur Vertragsauslegung sowie zur Entscheidung über die Gültigkeit und die Auslegung der fraglichen Handlungen zu geben, soweit er die aufgeworfenen Fragen noch nicht geklärt hat.

2. Zur Sicherung des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes ist zu erwägen, in Konstellationen der rückwirkenden Nichtanwendbarkeit eines Gesetzes infolge einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union innerstaatlich eine Entschädigung dafür zu gewähren, dass ein Betroffener auf die gesetzliche Regelung vertraut und in diesem Vertrauen Dispositionen getroffen hat.

3. Nicht jede Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht stellt einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind. Dieser Willkürmaßstab wird auch angelegt, wenn eine Verletzung von Art. 267 Abs. 3 AEUV in Rede steht (Bestätigung von BVerfGE 82, 159 <194>).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2010:rs20100706.2bvr266106

Fundstelle(n):
NJW 2010 S. 3422 Nr. 47
NJW 2010 S. 3428 Nr. 47
RIW 2010 S. 699 Nr. 10
RIW 2010 S. 707 Nr. 10
ZIP 2010 S. 1711 Nr. 35
MAAAD-51287

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