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BFH Urteil v. - II R 35/08

Gesetze: GrEStG § 16 Abs. 1 Nr. 1, GrEStG § 1 Abs. 2, BGB § 177 Abs. 1, BGB § 184 Abs. 1, FGO § 96 Abs. 1

Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs bei Aufhebung des ursprünglichen Grundstückskaufvertrags und des Weiterveräußerungsvertrags durch einen vollmachtlosen Vertreter

Leitsatz

"Rückgängig gemacht" im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt.
Wird im Zusammenhang mit der Aufhebung eines Kaufvertrags über ein Grundstück dieses weiterveräußert, ist für die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG entscheidend, ob für den früheren Erwerber trotz der Vertragsaufhebung die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem "rückgängig gemachten" Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben und der Verkäufer demzufolge nicht aus seinen Bindungen entlassen war. Dabei ist nicht maßgebend, ob die dem Ersterwerber verbliebene Rechtsposition einer Verwertungsbefugnis im Sinne des § 1 Abs. 2 GrEStG vergleichbar ist.
Dem Ersterwerber verbleibt die Möglichkeit der Verwertung einer Rechtsposition jedenfalls dann, wenn der Aufhebungs- und der Weiterveräußerungsvertrag in einer einzigen Urkunde zusammengefasst sind. In diesem Fall hat er die rechtliche Möglichkeit, die Aufhebung des ursprünglichen Kaufvertrags zum anschließenden Erwerb des Grundstücks durch eine von ihm ausgewählte dritte Person zu nutzen. Denn der Veräußerer wird aus seiner Übereignungsverpflichtung gegenüber dem früheren Erwerber erst mit der Unterzeichnung des Vertrags durch alle Vertragsbeteiligten und damit erst in dem Augenblick entlassen, in dem er bereits wieder hinsichtlich der Übereignung des Grundstücks an den Zweiterwerber gebunden ist.
Da sich diese Schlussfolgerung umgehen lässt, indem die Aufhebung des ursprünglichen und der Abschluss des neuen Kaufvertrags nacheinander beurkundet werden, kann der Abschluss beider Verträge in aufeinanderfolgenden Urkunden nicht anders beurteilt werden als ihre Zusammenfassung in einer Urkunde.
Werden sowohl der Vertrag über die Aufhebung eines Grundstückskaufvertrags als auch der nachfolgend beurkundete Weiterveräußerungsvertrag durch jeweils vollmachtlose Vertreter abgeschlossen und bedürfen die Verträge daher zur Wirksamkeit noch der Genehmigung der Vertragsbeteiligten gemäß § 177 Abs. 1 i.V.m. § 184 Abs. 1 BGB, behält der Ersterwerber die aus dem ursprünglichen Kaufvertrag erworbene Rechtsposition jedenfalls so lange, bis die Genehmigung des Aufhebungsvertrags wirksam wird. Bis zu diesem Zeitpunkt ist er noch Inhaber sämtlicher Rechte und Pflichten aus dem Kaufvertrag.
Die Möglichkeit des Ersterwerbers, seine Rechtsposition beim Abschluss des Weiterveräußerungsvertrags zu verwerten, wird nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass der neue Kaufvertrag mit dem Zweiterwerber zivilrechtlich erst nach dem Aufhebungsvertrag wirksam wird, weil die Genehmigungen der Vertragsbeteiligten des Kaufvertrags dem beurkundenden Notar erst nach den Genehmigungen der Vertragsparteien des Aufhebungsvertrags zugehen. Auch bei einem Abschluss des Aufhebungsvertrags und einem nachfolgend beurkundeten Abschluss des neuen Kaufvertrags zwischen persönlich anwesenden Vertragsbeteiligten ist der Aufhebungsvertrag zivilrechtlich vor dem neuen Kaufvertrag wirksam, ohne dass sich dies auf die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG auswirkt.
Übt der Ersterwerber bei der erneuten Veräußerung eine ihm aus dem Erwerbsvorgang verbliebene Rechtsposition tatsächlich nicht aus oder handelt der Ersterwerber insoweit im ausschließlichen Interesse eines Dritten, steht dies einer Rückgängigmachung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht entgegen.
Ist Ersterwerber eine Kapitalgesellschaft, so muss sich diese für die Beurteilung der Frage, ob eine ausschließliche Verfolgung der Interessen Dritter vorliegt, die Interessen derjenigen Person zurechnen lassen, die bei der Ausübung der Rechtsposition der Kapitalgesellschaft aus dem ursprünglichen Kaufvertrag gehandelt hat.
Der Kapitalgesellschaft zuzurechnen sind auch die (wirtschaftlichen) Interessen des Alleingesellschafters, und zwar unabhängig davon, ob es sich hierbei um eine natürliche oder um eine juristische Person handelt.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 2301 Nr. 12
GAAAD-54312

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