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BVerfG Urteil v. - 1 BvR 2821/11, 1 BvR 321/12, 1 BvR 1456/12

Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, Art 12 Abs 1 GG, Art 14 Abs 1 S 1 GG, Art 14 Abs 1 S 2 GG, Art 14 Abs 3 GG, Art 19 Abs 1 S 1 GG, Art 19 Abs 3 GG, Art 49 Abs 1 S 2 AEUV, Art 54 Abs 1 AEUV, § 7 Abs 1a S 1 AtG vom , § 7 Abs 1b AtG, § 7 Abs 1c AtG, Anl 3 AtG, AtGÄndG 11, Art 1 Nr 1 Buchst a AtGÄndG 13 vom , Art 1 MRKZProt

Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom (juris: AtGÄndG 13) im Wesentlichen mit dem GG vereinbar - Art 1 Nr 1 Buchst a AtGÄndG 13 mit Art 14 Abs 1 GG partiell unvereinbar - Nichtverwertbarkeit der im Jahr 2002 gesetzlich zugewiesenen Stromerzeugungskontingente durch Einführung eines festen Abschalttermins für Atomkraftwerke als nicht zumutbare Inhalts- und Schrankenbestimmung - zudem Verletzung des Art 14 Abs 1 GG durch Fehlen einer Kompensation für gewisse Investitionen (Vertrauensschutz) - hingegen Streichung der im Jahr 2011 zusätzlich gewährten Stromerzeugungskontingente verfassungsrechtlich unbedenklich - Frist für Neuregelung bis

Leitsatz

1. Das Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes mit dem Ziel der Beschleunigung des Atomausstiegs steht weitgehend im Einklang mit dem Grundgesetz.

2. Eine erwerbswirtschaftlich tätige inländische juristische Person des Privatrechts, die vollständig von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union getragen wird, kann sich wegen der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes in Ausnahmefällen auf die Eigentumsfreiheit berufen und Verfassungsbeschwerde erheben.

3. a) Die den Kernkraftwerken 2002 und 2010 durch Gesetz zugewiesenen Elektrizitätsmengen bilden keinen selbständigen Gegenstand des Eigentumsschutzes, haben aber als maßgebliche Nutzungsgrößen teil am Eigentumsschutz der Anlagen.

b) An öffentlich-rechtlichen Genehmigungen besteht grundsätzlich kein Eigentum.

4. Eine Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG setzt den Entzug des Eigentums durch Änderung der Eigentumszuordnung und stets auch eine Güterbeschaffung voraus. Die Regelungen zur Beschleunigung des Atomausstiegs durch das Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom begründen danach keine Enteignung.

5. Führen Einschränkungen der Nutzungs- und Verfügungsbefugnis am Eigentum als Inhalts- und Schrankenbestimmungen im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu einem Entzug konkreter Eigentumspositionen, ohne der Güterbeschaffung zu dienen, sind gesteigerte Anforderungen an deren Verhältnismäßigkeit zu stellen. Sie werfen stets die Frage nach Ausgleichsregelungen auf.

6. Die entschädigungslose Rücknahme der Ende 2010 durch Gesetz erfolgten Verlängerung der Laufzeit der Kernkraftwerke um durchschnittlich 12 Jahre durch das angegriffene Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes ist angesichts des mehrfach eingeschränkten Vertrauens in den Erhalt der Zusatzstrommengen verfassungsgemäß. Der Gesetzgeber durfte auch ohne neue Gefährdungserkenntnisse den Reaktorunfall in Fukushima als Anlass nehmen, zum Schutze der Gesundheit der Bevölkerung und der Umwelt den Ausstieg aus der Kernenergie zu beschleunigen.

7. Das Dreizehnte Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes enthält angesichts der gesetzlich festgelegten Restlaufzeiten der Anlagen und wegen des in diesem Fall besonders verbürgten Vertrauensschutzes eine unzumutbare Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, soweit es dazu führt, dass zwei der Beschwerdeführerinnen substantielle Teile ihrer Reststrommengen von 2002 nicht konzernintern nutzen können.

8. Art. 14 Abs. 1 GG schützt unter bestimmten Voraussetzungen berechtigtes Vertrauen in den Bestand der Rechtslage als Grundlage von Investitionen in das Eigentum und seine Nutzbarkeit.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2016:rs20161206.1bvr282111

Fundstelle(n):
NJW 2017 S. 217 Nr. 4
FAAAG-41932

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