Ansatz einer materiell-rechtlich nicht angefallenen Umsatzsteuer für die patientenindividuelle Herstellung und Verabreichung von Zytostatika durch ein Krankenhaus: Rückforderungsansprüche des Patienten oder seiner privaten Krankenversicherung; Fall der Nichtausweisung der Umsatzsteuer in den Rechnungen des Krankenhauses
Leitsatz
1. Stellt ein Krankenhaus in seiner hauseigenen Apotheke patientenindividuell Zytostatika für eine ambulante Behandlung des Patienten in seiner Klinik her, kommt regelmäßig (stillschweigend) eine Bruttopreisabrede zustande, bei der der darin enthaltene Umsatzsteueranteil lediglich einen unselbständigen Preisbestandteil bildet (Fortführung von , BGHZ 103, 284, 287; vom - VIII ZR 198/90, BGHZ 115, 47, 50; vom - V ZR 492/99, NJW 2001, 2464 unter II 1; vom - I ZR 318/99, NJW 2002, 2312 unter II 1; Beschluss vom - IX ZR 138/14, juris Rn. 3).
2. Dabei kommt dem Krankenhaus ein einseitiges Preisbestimmungsrecht nach §§ 316, 315 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht zu. Denn gegenüber der nur im Zweifel eingreifenden Auslegungsregel des § 316 BGB hat die (ergänzende) Vertragsauslegung den Vorrang (Anschluss an IVa ZR 211/82, BGHZ 94, 98, 101 f. mwN; vom - XI ZR 197/09, NJW 2010, 1742 Rn. 18). Entspricht ein solches Preisbestimmungsrecht typischerweise nicht dem Interesse der Parteien und ihrer wirklichen oder mutmaßlichen Willensrichtung, ist es geboten, die bestehende Lücke durch Auslegung oder durch Anwendung der Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen (vgl. etwa IVa ZR 211/82, aaO S. 102 mwN; vom - XI ZR 197/09, aaO).
3. Die Schließung der bezüglich des zu zahlenden Entgelts bestehenden Lücke kann aber auch noch nachträglich durch eine stillschweigend getroffene konkrete Preisabrede erfolgen. Diese kommt in der hier anzutreffenden Fallgestaltung spätestens mit der Übersendung der Rechnung an den Patienten und der vorbehaltlosen Zahlung der verlangten (angemessenen) Beträge zustande (vgl. § 151 BGB).
4. Die getroffene Bruttopreisabrede schließt jedoch nicht in jeder Hinsicht Rückforderungen des Patienten oder seiner Krankenversicherung aus. Wenn - wie hier - nicht nur die Vertragsparteien, sondern auch die Finanzbehörden bei Vertragsschluss von einer (materiell-rechtlich nicht bestehenden) Umsatzsteuerpflicht der Herstellung und Lieferung der Zytostatika ausgegangen sind und die Finanzverwaltung die später vom Bundesfinanzhof bejahte Umsatzsteuerfreiheit (rückwirkend) akzeptiert, ist diese Abrede einer ergänzenden Vertragsauslegung bezüglich des entrichteten Umsatzsteueranteils zugänglich.
5. Die gebotene ergänzende Vertragsauslegung führt in den Fällen, in denen - wie hier - eine bestandskräftige Steuerfestsetzung noch nicht erfolgt ist und das Krankenhaus seine Rechnungen an den jeweiligen Patienten (unter Ansatz einer materiell-rechtlich nicht angefallenen Umsatzsteuer) nicht in einer den Anforderungen der § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7 und 8, § 14c Abs. 1 UStG entsprechenden Weise erstellt hat, regelmäßig dazu, dass ab der im Jahr 2016 den Krankenhäusern eröffneten sicheren Möglichkeit, die abgeführte Umsatzsteuer vom Finanzamt zurückzuerlangen, der Rechtsgrund für die erbrachten Zahlungen in Höhe der Differenz zwischen dem vereinbarten Preis und der vom Patienten geleisteten Umsatzsteuer abzüglich der vom Krankenhaus in Abzug gebrachten Vorsteuer entfällt.
6. In diesen Fällen ist der Erstattungsanspruch des Krankenhauses gegenüber dem Finanzamt nicht im Wege einer Rechnungskorrektur nach § 14c Abs. 1 Satz 2, § 14 Abs. 6 Nr. 5 UStG (iVm § 31 Abs. 5 Satz 1 Buchst. b UStDV), sondern durch geänderte Steueranmeldungen für die betroffenen Besteuerungszeiträume vorzunehmen. Hierdurch erlangt das Krankenhaus einen durchsetzbaren Rückzahlungsanspruch gegen das Finanzamt nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO. Dabei drohen dem Krankenhaus in diesen Fallgestaltungen (kein gesonderter Steuerausweis im Sinne des § 14c Abs. 1 Satz 1 UStG) keine Zinsforderungen des Finanzamts nach § 233a Abs. 1, 3, 5, § 238 AO zu ihren Lasten. Denn das Krankenhaus macht hierbei die Umsatzsteuerfreiheit der getätigten Geschäfte nicht im aktuellen Besteuerungszeitraum, sondern rückwirkend für die betroffenen Besteuerungszeiträume geltend, so dass sich notwendig allein zu seinen Gunsten ein - vom Finanzamt zu verzinsender - Saldo ergibt.
Tatbestand
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer: ECLI:DE:BGH:2019:200219UVIIIZR7.18.0
Fundstelle(n): BFH/NV 2019 S. 671 Nr. 6 HFR 2019 S. 523 Nr. 6 NJW 2019 S. 2298 Nr. 32 JAAAH-09999